Einer der mir wichtigsten Punkte bei den ÜBERSCHRIFTEN ist, dass ich sie in dem von mir gedachten Kontext der Ich-Entwicklung präsentieren kann.
Tatsächlich hauptsächlich deshalb, um bei der schieren Menge an ÜBERSCHRIFTEN eine Möglichkeit zu bieten, dass sich jeder die ÜBERSCHRIFT heraussuchen kann, die sie in einer — ihrer! — bestimmten Situation als Denkanstoß unterstützen kann, wenn sie wollen.
Außerdem wünsche ich mir, dass es so leichter wird, über ihre Interpretationen zu sprechen, ohne erst den grundsätzlichen Rahmen („Erklärung“) stecken zu müssen.
Wie ich das qualitativ bewerkstelligen kann? Dafür ist es vielleicht erst einmal wichtig zu wissen, wie ich die ÜBERSCHRIFTEN selbst sehe. Für mich sind sie Denkanstöße, Erinnerungen, Ermahnungen. Oft Spiegel unserer natürlichen negativen Voreingenommenheit. Hinweise auf blinde Flecken in unserem Denken. Gelegentlich amüsante Betrachtungen und meistens eher unbequeme Aussagen.
Und das alles eben im Kontext unserer persönlichen Entwicklung. In einem gewissen Maße versuche ich also, individuelle Bedeutungskonstruktion kritisch zu hinterfragen oder anzustiften.
Das wirklich spannende dabei ist, dass das prinzipiell möglich ist. Natürlich maße ich mir keinen therapeutischen Effekt an oder gebe vor, dass die ÜBERSCHRIFTEN zu 100 % stimmen1, für jeden, immer, und sich eine allgemeine Handlungsanleitung ableiten lässt. Sie müssen nur oft genug nützlich sein.2
Deshalb setze ich die Katalogisierung entsprechend der empirisch belegten Theorie der Ich-Entwicklung nach Jane Loevinger um. Ich kann die ÜBERSCHRIFTEN so vier Bereichen zuordnen, in denen wir uns entwickeln (können), und sie in Ebenen positionieren, um ihren Bezug zu uns selbst und anderen hervorzuheben.
Das möchte ich allerdings ganz, ganz besonders betonen: dabei geht es nicht in irgendeiner Art darum, auf welcher Stufe du als Leser:in sein könntest, oder etwas anzudeuten, oder was weiß ich nicht was.
Übersicht
- Einführung
- Hinweise vorab
- Übersicht der Stufen der Ich-Entwicklungsstufen nach Jane Loevinger
- Aspekte und Bereiche der Ich-Entwicklung
- Die Ebenen der Ich-Entwicklung
- Fragen, die wir uns auf Stufen stellen
- Texte: das Subjekt-Objekt-Gleichgewicht
- Kurz und knapp: die Katalogisierungstabellen für die ÜBERSCHRIFTEN
- Quellen
Einführung
„Die Stufen der Ich-Entwicklung“ ist eine von der Entwicklungspsychologin Jane Loevinger entwickelte Theorie3, nach der das Ich eines Menschen reift und sich über seine Lebenspanne hinweg in Stufen entwickelt, die das Ergebnis einer dynamischen Interaktion zwischen seinem inneren Selbst und der äußeren Umgebung sind.4
Dieses Modell gilt als eines der bestgesicherten5 Stufenmodelle der Entwicklung und trägt zur Beschreibung der Ich-Entwicklung bei, die über die Eigenschaftstheorie in der Psychologie hinausgeht und Persönlichkeit als bedeutungsvolles Ganzes betrachtet.6
Und was ist nach Jane Loevinger das Ich, das sich entwickelt? „Das nach Kohärenz strebt“ und „das Ding, das wir messen“.
Hinweise vorab
Keine Stufe ist besser: Spätere Stufen erlauben eine differenziertere Ethik. Wir können auf allen Stufen gütig, gerecht und moralisch sein. Außerdem sind wir nicht einfach nur auf einer Stufe, sondern bewegen uns im Umgang mit anderen Menschen oft auf verschiedenen Stufen, wenngleich wir uns grundsätzlich auf einer bestimmten Entwicklungsstufe befinden.7
Wir überschätzen uns in der Regel dabei selbst, welche das ist. Die meisten Menschen zum Beispiel werden nicht zu „wohlfunktionierenden Erwachsenen“8, was allerdings nötig wäre, um die zunehmende Komplexität einer globalisierten Welt oder den Nihilismus der Postmoderne bewältigen zu können. Es hat sich gezeigt, dass unser jeweiliges Ich-Entwicklungsniveau einen großen Einfluss auf viele Aspekte unseres Lebens hat, die mit zunehmender Reife immer besser bewältigt werden können.9
Besonders an diesem Modell an sich ist, dass es gleichzeitig eine Persönlichkeitstypologie10 und eine Sequenz der Entwicklung11 darstellt — und es dadurch allerdings auch schwieriger zugänglich macht als andere Persönlichkeitsmodelle. Um diese Stufen der Ich-Entwicklung verstehen zu können, ist es notwendig, dass wir von konkreten Verhaltensweisen abstrahieren können: Ein bestimmtes Ich-Entwicklungsniveau kann sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise zeigen.
Und wie auch bei den „Entwicklungsstufen des Selbst“ von Robert Kegan gilt, dass keine Entwicklungsstufe übersprungen werden kann.
Was du nur daraus ableiten kannst, ist, dass wie du eine ÜBERSCHRIFT auffasst und interpretierst, davon abhängt, in welchem eigenen Kontext der angesprochenen Stufe du dich in dem Augenblick befindest.
Übersicht der Stufen der Ich-Entwicklungsstufen nach Jane Loevinger
Jane Loevingers Anspruch war, dass sie zeigen wollte, was ist, und nicht, was sein sollte.12 Deshalb hatte sie auch nie einen Endpunkt der Ich-Entwicklungsstufen benannt. Die späte Entwicklungsstufe E10 ist daher durch die Forschungsarbeiten von Susanne Cook-Greuter ergänzt.13
Die Ich-Struktur Erwachsener entspricht dabei überwiegend den Stufen E4 bis E7, weshalb ich hier etwas früher anfange und einen Ausblick auf später gebe.14
Selbstorientierte Stufe (E3)
Hier steht der eigene Vorteil im Vordergrund. Andere Menschen sehen wir als Mittel zu unserer eigenen Bedürfnisbefriedigung und weniger als Wert an sich, was zu einem eher opportunistisches Verhalten gegenüber anderen führt.
DU TUST NUR, WAS DIR GEFÄLLT //
Auf der selbstorientierten Stufe haben wir einen eher kurzen Zeithorizont. Unser Fokus liegt zumeist auf konkreten Dingen; unsere konzeptuelle Bandbreite ist einfach. Feedback weisen wir oft zurück und handeln stark stereotyp. Uns beherrscht eine Auge-um-Auge-Mentalität, unsere emotionale Bandbreite ist begrenzt — und Schuld suchen wir überwiegend woanders.
Gemeinschaftsbestimmte Stufe (E4)
Auf dieser Stufe ist unser Denken und Handeln vorrangig an Regeln und Normen unserer relevanten Bezugsgruppen ausgerichtet, und unsere eigene Identität wird durch diese definiert. Zugehörigkeit und Unterordnung unter deren Sichtweisen sind vorherrschend.
ERWARTE NICHT VON DER WELT, NETT ODER FAIR ZU SEIN, NUR WEIL DU NETT ODER FAIR ZU IHR BIST //
Unser Gesicht zu wahren, ist zentral. Wir bekommen starke Schuldgefühle, wenn wir die Erwartungen anderer verletzen; Konflikte vermeiden wir. Generell ist unsere Gefühlspalette auf grundlegende Emotionen beschränkt. Unsere Kontakte sind eher oberflächlich. Wir denken vorwiegend in Entweder-oder-Kategorien.
Rationalistische Stufe (E5)
Hier orientieren wir uns an klaren Standards, haben ein sehr rationales Denken und kausale Erklärungen herrschen vor; wir sehen, dass es zulässige Eventualitäten und Ausnahmen gibt. Wir haben die Motivation, uns von anderen abzuheben und die feste Vorstellung, wie Dinge sind und laufen sollen; wir sind uns bewusst, dass wir nicht immer den erklärten Standards der Bezugsgruppe entsprechen. Dennoch sind wir nicht weniger angepasst.
LASS LOS VON DEINEM BEDÜRFNIS, RICHTIG ZU LIEGEN — TU, WAS FUNKTIONIERT //
Unsere Selbst-Wahrnehmung fängt hier langsam an, und wir üben uns in Selbstkritik und dem Sehen verschiedener Perspektiven sowie Suche nach Motiven für Verhalten. Wir haben eine größere emotionale und kognitive Bandbreite. Unser fachliches Denken ist eher eng, und wir betonen Effizienz statt Effektivität.
Eigenbestimmte Stufe (E6)
Auf der eigenbestimmten Stufe haben wir voll entwickelte und selbst definierte (eigene) Werte, Vorstellungen und Ziele; eine ausgebildete Identität, statt nach der Zustimmung unserer Bezugsgruppe zu suchen. Wir haben eine starke Zielorientierung und pflegen Selbstoptimierung. Elemente eines reifen Gewissens sind vorhanden.
ZIEH IN BETRACHT, WAS PASSIERT, WENN DEIN PLAN FUNKTIONIERT //
Wir akzeptieren die Komplexität von Situationen, haben ein reiches Innenleben und ein entsprechendes Vokabular, um Emotionen auszudrücken, sehen die Gegenseitigkeit in Beziehungen und haben Respekt vor individuellen Unterschieden. Den eigenen Schatten der Subjektivität sehen wir häufig nicht.
Relativierende Stufe (E7)
Hier haben wir ein beginnendes Bewusstsein darüber, wie unsere eigene Wahrnehmung die Sicht auf die Welt prägt, und hinterfragen stärker unsere eigenen Sichtweisen und die von anderen Menschen — wir werden uns unserer Entwicklung als Prozess und seines Platzes in unserem Leben bewusst und denken in psychologischen Kausalzusammenhängen. Uns zeichnet eine relativistische Weltsicht aus und wir nehmen eine umfassende Sichtweise des Lebens als Ganzes ein.
GESTERN WIRD SCHON ALLES BESSER SEIN //
Auf der relativierenden Stufe haben wir ein größeres Bewusstsein gegenüber inneren/äußeren Konflikten, Paradoxien und Widersprüchen, ohne diese jedoch integrieren zu können. Uns zeichnet eine sehr individuelle/persönliche Art aus.
Systemische Stufe (E8)
Auf der systemischen Stufe haben wir eine voll ausgebildete Multiperspektivität, eine gleichzeitige Prozess- und Zielorientierung, und erfassen Beziehungen systemisch. Wir können sich widersprechende Aspekte und Meinungen integrieren und haben eine hohe Motivation, uns selbst weiterzuentwickeln und sehen das eigene Leben im Zusammenhang mit sozialen Belangen.
ANPASSEN ALLEINE REICHT NICHT MEHR ZUM ÜBERLEBEN //
Wir sind offen und kreativ bei der Auseinandersetzung mit Konflikten und haben eine hohe Toleranz für Mehrdeutigkeit. Wir zollen der Autonomie anderer Personen hohen Respekt, und söhnen uns mit unseren eigenen negativen Anteilen aus.
Integrierte Stufe (E9)
Wir sind auf dieser Stufe an kein explizites System wie Werte, Einstellungen und Praktiken mehr gebunden, bewerten unsere Erfahrungen laufend neu und stellen sie in andere Zusammenhänge, sind also in einem hohen Maße selbstaktualisierend. Wir haben die grundlegende Fähigkeit, unsere lebenswichtigen Anliegen mit denen der Gesellschaft zu integrieren.
ALLES IST DURCH PFADE MITEINANDER VERBUNDEN — ABER ALLES IST NICHT EINS //
Auf der integrierten Stufe können wir Paradoxien integrieren und haben eine hohe Bewusstheit gegenüber unserem eigenen Aufmerksamkeitsfokus. Uns zeichnet ein besonderes Gespür für Symbolik aus.
Fließende Stufe (E10)
Auf der fließenden Stufe geben wir das Bedürfnis auf, Dinge und Personen zu bewerten. Wir verschmelzen mit der Welt, haben kein weiteres Festhalten, sondern lassen uns auf den Fluss der Dinge ein.
ALLES, WAS VON DIR BLEIBT IST, DASS DEIN WANDELNDER SCHATTEN EINEN BLEIBENDEN EINDRUCK HINTERLASSEN KANN, WENN DIE UNENDLICHKEIT MIT IHREM LICHT STRAHLT //
Wir pflegen eine spielerische Abwechslung zwischen Ernst und Trivialem, dem Ineinanderübergehen unterschiedlicher Bewusstseinszustände, dem Denken in Zeitzyklen und historischen Dimensionen. Wir akzeptieren Andersartigkeiten und Menschen, wie sie sind, vollständig.
Aspekte und Bereiche der Ich-Entwicklung
Jede Stufe der Ich-Entwicklung ist durch jeweils andere Aspekte als die frühere oder spätere Stufe definiert — es treten allerdings nicht immer neue Aspekte auf; sie verändern sich über die verschiedenen Stufen.
Am Beispiel von Regeln lässt sich gut zeigen, wie sich einzelne Aspekte über verschiedene Stufen der Ich-Entwicklung verändern:
- Auf der impulsiven Stufe (E2) verstehen wir Regeln noch kaum,
- auf der selbstorientierten Stufe (E3) hingegen erkennen wir den Vorteil von Regeln, vor allem auch, weil sie das Leben berechenbarer machen;
- erst auf der gemeinschaftsorientierten Stufe (E4) akzeptieren wir Regeln aus sich heraus, sofern sie aus unserer Bezugsgruppe stammen,
- und mit weiterer Entwicklung beginnen wir dann immer mehr zu sehen, dass Regeln nur unter bestimmten Bedingungen gelten oder in einzelnen Fällen vor dem Hintergrund unseres Gewissens möglicherweise gänzlich abzulehnen sind.
Jane Loevinger betonte außerdem, dass es sich bei Ich-Entwicklung um ein ganzheitliches Konstrukt handelt, das aus den folgenden vier Bereichen besteht:
- Charakter
- Interpersoneller Stil
- Bewusstseinsfokus
- Kognitiver Stil
Diese Bereiche bestehen nicht isoliert voneinander, sind allerdings auch nicht im Sinne von vier feststehenden Faktoren zu verstehen, sondern als zusammenhängend, die sich in einer Art organisierter Ganzheit entwickeln.
Charakter
Charakter ist der Umgang mit Impulsen und eigenen wie fremden Maßstäben.
ES IST NICHT DAS, WAS PASSIERT — ES IST, WIE DU DAMIT UMGEHST //
Unser Charakter entwickelt sich von stark durch Impulse gesteuert und mit Befürchtung vor Bestrafungen zu einer immer stärkeren Selbstregulierung und eigenen Maßstäben, die später wieder hinter sich gelassen werden.
Interpersoneller Stil
Der interpersonelle Stil bezieht sich auf den Umgang mit anderen Menschen, wie diese verstanden und welche typischen Beziehungsmuster (unbewusst) eingegangen werden.
„WIR GEGEN SIE“ LÖST KEINE PROBLEME, DIE ALLE BETREFFEN //
Unser interpersoneller Stil entwickelt sich von sehr manipulierend immer mehr dazu, die Autonomie anderer Menschen zu berücksichtigen und strebt an, für alle Seiten tragfähige interpersonelle Vereinbarungen zu achten.
Bewusstseinsfokus
Der Bewusstseinsfokus bezieht sich auf das, worauf sich die Gedanken einer Person hauptsächlich richten und um welche Themen beziehungsweise Aspekte sie kreisen.
RECHT HABEN IST DER FEIND VON RECHT BEHALTEN //
Während unser Bewusstseinsfokus in frühen Stufen stärker auf externe Dinge und eigene Bedürfnisse gerichtet ist, ändert er sich später auf interne Aspekte, wie Motive und Gefühle, sowie Individualität und Entwicklung.
Kognitiver Stil
Der kognitive Stil bezieht sich auf die Art und Weise der typischerweise benutzten Denkstrukturen.
DIE ZEIT DER GEWISSHEIT IST SCHON IMMER VORBEI //
Was in frühen Stufen in unserem kognitiven Stil einfach und undifferenziert ist, entwickelt sich später zu immer größerer konzeptioneller Komplexität, zu Multiperspektivität und der Fähigkeit, mit Widersprüchen umgehen zu können.
Die Ebenen der Ich-Entwicklung
Jede Stufe der Ich-Entwicklung stellt einen Meilenstein dar, der zu einer immer umfassenderen und differenzierteren Sicht auf uns selbst, auf andere und die Welt führt. Und so unterschiedlich diese Stufen auch sind, lassen sich übergreifende Gemeinsamkeiten entdecken.
Die folgenden drei Ebenen zeigen dabei den generellen Orientierungsrahmen, und helfen so, diese Gemeinsamkeiten besser zu verstehen:
- Vorkonventionelle Ebene
- Konventionelle Ebene
- Postkonventionelle Ebene
Vorkonventionell (E2–E3)
Die vorkonventionelle Ebene ist die konkret-individuelle, nicht-sozialisierte Perspektive.
NICHT WENIGE MENSCHEN WÜRDEN EHER EINEN KRIEG ANFANGEN, ALS VERANTWORTUNG BEI SICH ZU SEHEN //
Sie ist vorwiegend am eigenen Selbst orientiert. Das bedeutet nicht, dass wir auf dieser Ebene uns nicht für andere engagieren können oder nur an uns denken, sondern, dass wir uns dabei an unseren eigenen Gedanken, Gefühlen und Motiven orientieren.
Konventionell (E4–E6)
Die konventionelle Ebene ist die des sozialisierten Individuums. Sie ist an Erwartungen, Normen und Regeln der Gesellschaft oder Teilbereichen davon orientiert.
DIE MEISTEN MENSCHEN FOLGEN NICHT DEN BESTEN IDEEN, SONDERN DEN MENSCHEN, DIE IDEEN AM BESTEN VERMITTELN KÖNNEN //
Wie wir das tun und woran wir uns konkret orientieren, kann dabei sehr unterschiedlich sein. Auf dieser Ebene befindet sich der Großteil der westlich geprägten Gesellschaften, und hier haben wir es sozusagen geschafft, ein „sozialisiertes Mitglied“ zu sein.
In einer frühen konventionellen Phase sind wir stark durch die Erwartungen unserer Bezugspersonen definiert; in der mittleren Phase weitet sich unser Blick über unsere Bezugsgruppe hinaus, wodurch wir mehr innere Unabhängigkeit und eine stärkere Orientierung an eigenen Standards gewinnen.
Die späte konventionelle Phase kann als das Ideal der westlichen Gesellschaft angesehen werden: Hier haben wir eine eigene Identität, in der wir fähig sind, Unterschiede wahrzunehmen, Situationen rational abzuwägen und uns eigene Ziele zu setzen.15
Postkonventionell (E7–E10)
Die postkonventionelle Ebene ist die der Gesellschaft vorgeordnete Perspektive. Sie ist unabhängig davon an allgemeinen Prinzipien orientiert und die Relativität eigener Sichtweisen anerkennend.
FRAG DICH NICHT, WAS SICH IN DEN NÄCHSTEN JAHREN ÄNDERT, SONDERN, WAS GLEICH BLEIBT //
In der frühen postkonventionellen Phase haben wir zunehmend Abstand zu der Art und Weise, wie wir in einem sozialen System16 Dinge einschätzen und für wichtig und richtig befinden. Bestehende Normen, Regeln und Strukturen nehmen wir hier nun als eine Art, die Wirklichkeit zu gestalten, wahr. Unterschiede und Veränderungen begrüßen wir zunehmend, und unser Bewusstsein darüber, wie wir Dinge interpretieren und wie diese durch eigene kulturelle Prägungen beeinflusst werden, nimmt zu.
Von der postkonventionellen Ebene gibt es darüber hinaus eine Neuinterpretation durch Susanne Cook-Greuter, die die postkonventionelle Ebene in systemisch17 und dialektisch18 unterteilt.
Ferner schlägt Susanne Cook-Greuter die Stufen E11 und darüber hinaus vor, die auf der dann folgenden Ebene „Ich-transzendent“ verortet werden.
Fragen, die wir uns auf Stufen stellen
Der Vollständigkeit halber pflege ich auch direkt eine Zuordnung nach der „Entwicklung des Selbst“ von Robert Kegan — wie schön, dass das transparent möglich ist und dem Inhalt sogar nur zuträglich wird, die kann ich auch nutzen, um zu schauen, ob die ÜBERSCHRIFTEN auf Fragen deuten, die wir uns nach Robert Kegan prototypisch auf diesen Stufen stellen:
Souverän (S2)
„Werde ich bestraft, wenn ich etwas anderes tue? Was ist für mich drin?“
Zwischenmenschlich (S3)
„Werde ich noch gemocht/geschätzt? Werde ich von anderen anerkannt? Werden andere mich noch immer für gut, herausragend, intelligent und so weiter halten oder mit einer bestimmten Eigenschaft in Verbindung bringen?“
Institutionell (S4)
„Halte ich meine persönliche Integrität, meine Normen und Werte aufrecht? Lebe, arbeite und liebe ich nach meinen besten Fähigkeiten? Erreiche ich meine Ziele und lasse ich mich von meinen Idealen leiten?“
Überindividuell (S5)
„Woher weiß ich, dass das, was ich sage oder denke, wahr ist? Gibt es mehrere Wahrheiten, die ich sehen und verstehen kann? Durch welche Linse betrachte ich die Dinge? Gibt es eine Perspektive, die mir fehlt oder die ich nicht verstehe? Bin ich nicht an Ideen, Überzeugungen und Identitäten gebunden? Bin ich auf der Suche nach der Wahrheit oder suche ich die Wahrheit durch meine eigenen Filter?“
Ebenso nützlich ist:
Texte: das Subjekt-Objekt-Gleichgewicht
Zu jeder ÜBERSCHRIFT gibt es einen kurzen Text, der eine kleine Anekdote, Erklärung und/oder einen Lösungsansatz beinhaltet.
SIE SAGEN, DASS DU DU SELBST SEIN SOLLST, UND DANN VERURTEILEN SIE DICH //
Der einzige Augenblick, in dem es dir die meisten Menschen „gestatten“, wirklich herauszustechen, ist, wenn du es bereits tust: Wenn du eine unbestreitbare Position hast, die es dir erlaubt, deinen Unterschied zu den meisten Menschen klar hervorzuheben.
Um diese qualitativ festzumachen und gleichzeitig Beispiele geben zu können, kann ich das mit der „Entwicklung des Selbst“ einhergehende Modell vom Subjekt-Objekt-Gleichgewicht nutzen19, um Subjekt und Objekt in Relation zueinander zu setzen, oder um einen Ausblick auf die nächste Stufe zu geben, um das präsentierte Dilemma aufzulösen.
Die Frage, „wodurch werde ich gesteuert?“, ist das Subjekt, und die Frage „was kann ich steuern?“ ist das Objekt.
E3 / S2
Subjekt: Bedürfnisse, Interessen, Wünsche
Objekt: Impulse, Wahrnehmungen
E4 / S3
Subjekt: Beziehungen, Erwartungen relevanter Bezugspersonen
Objekt: Bedürfnisse, Interessen, Wünsche
E6 / S4
Subjekt: Eigene Identität, Ideologie, Weltbild
Objekt: Beziehungen, Erwartungen relevanter Bezugspersonen
E8 / S5
Subjekt: Überindividuelle Prinzipien und Werte, Austausch zwischen Selbstsystemen
Objekt: Eigene Identität, Ideologie, Weltbild
E10
Die Subjekt-Objekt-Differenzierung löst sich auf.
Kurz und knapp: die Katalogisierungstabellen für die ÜBERSCHRIFTEN
Wenn du Interesse daran hast, die ÜBERSCHRIFTEN für dich selbst einzuordnen, oder du Fragen hast, oder besser, (Verbesserungs-)Vorschläge, dann kannst du die Tabellen zur Katalogisierung herunterladen. Sehr viel mehr Texte und Informationen zu dem Thema der Ich-Entwicklung findest du in meinem Blog.
Und am liebsten sprechen wir dann darüber.
Quellen
- „Ich-Entwicklung für effektives Beraten“ von Thomas Binder (2019)
- „Paradigms of personality“ von Jane Loevinger (1987)
- „Die Entwicklungsstufen des Selbst“ von Robert Kegan (1994)
- „In over our heads“ von Robert Kegan (1996)
Eigene Texte
- „Die Entwicklungsstufen des Selbst“
- „Erweiterungen und Interpretationen zu den Entwicklungsstufen des Selbst“
- „Ich-Entwicklung und Entwicklung des Selbst: Was ist der Unterschied zwischen Loevinger und Kegan?“
- „Fragen und Antworten zur Ich-Entwicklung“
Fußnoten
- Je weiter wir in unserer Ich-Entwicklung voranschreiten, desto schwieriger wird es ohnehin, schon nur eine geeignete Sprache dafür zu finden, also Ausdrücke, Beschreibungen etc. Die Interpretationsmöglichkeiten aktueller ÜBERSCHRIFTEN sind ja bereits das beste Beispiel dafür. ↩︎
- Was eben auch sein kann, zu einem anderen oder gar gegenteiligen Schluss zu kommen — und das ist großartig! ↩︎
- Die auf dem psychosozialen Modell von Erik H. Erikson, Joan Erikson und den Arbeiten von „Harry“ Stack Sullivan beruht. ↩︎
- Entwicklung wird hier also nicht „als allmählicher Übergang“ mit kleinen Verhaltensveränderungen gesehen, sondern als Unterbrechungen aufweisend im Sinne qualitativer Entwicklungsschritte. ↩︎
- Das Modell basiert auf Messungen durch den Satzergänzungstest WUSCT, einem projektiven Test, mit dem psychische Phänomene gemessen werden, indem die psychologische Projektion einer Person erfasst und quantifizierbar gemessen wird. ↩︎
- Damit schlägt es die Brücke von Persönlichkeitstheorie und entwicklungspsychologischen Stufenmodellen. ↩︎
- Also in unserer aktiven Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. ↩︎
- Nach Robert Kegan; ihnen fehlt ein unabhängiges Selbst-Verständnis, weil vieles von dem, was sie denken, glauben und fühlen, davon abhängt, wie sie glauben, dass andere sie erleben. Eine prozentuale Verteilung findet sich weiter unten im Text. ↩︎
- Siehe Robert Kegan, „In Over Our Heads“. ↩︎
- Die Beschreibung typischer Funktionsweisen und Muster von Persönlichkeit und wodurch sie sich auszeichnet. ↩︎
- Als Entwicklungssequenz ordnet es diese Persönlichkeitstypen zu einer aufeinander aufbauenden Reihenfolge, die Menschen, wenn sich ihre Persönlichkeit entwickelt, durchlaufen. ↩︎
- Die Antwort von ihr auf Lawrence Kohlbergs Forderung nach einer normativen Begründung ihrer Entwicklungssequenz. ↩︎
- Der Jane Loevinger selbst übrigens skeptisch gegenüber stand. ↩︎
- Der Median liegt bei E5. ↩︎
- Eine Weiterentwicklung darüber hinaus wird gesellschaftlich kaum unterstützt. ↩︎
- Familie, Freundeskreis, Unternehmen, Gesellschaft etc. ↩︎
- E7 und E8. ↩︎
- E9 und E10. ↩︎
- Loevingers Entwicklungsstufen E5, E7 und E9 sind nicht aufgeführt, da sie Zwischenstufen des Subjekt-Objekt-Gleichgewichtes sind. Sie können zwar über Jahre stabil sein, sind dabei allerdings in einem Ungleichgewicht, die als Entwicklungskonflikt gesehen werden können. ↩︎